Hallo zusammen,

der heutige Bericht handelt von unserem geliebten Handy und der Annahme, der Forderung, der Erwartung der „Dauererreichbarkeit“.

Viel Spaß beim Lesen.

Kürzlich sagte eine Patientin zu mir, dass der tägliche Umgang mit ihrem Handy richtig Stress in ihr auslöse und Freunde richtig beleidigt sind, wenn sie nicht in einem bestimmten Zeitfenster antworte.

Eine andere Patientin meinte: „….dass es wohl eine Frechheit sei, wenn ihr Freund sich nicht gleich bei ihr zurückmeldet, da heute ja jeder sein Handy dabei hätte und die kurze Zeit für eine Nachricht wohl kein Aufwand wäre“.

„Wenn er sich nicht meldet, dann bin ich ihm wohl nicht wichtig“, so oder ähnlich lautet dann die Schlussfolgerung.

Ein weiterer Patient meinte, dass in seiner wichtigen Arbeit es sehr wichtig sei, immer erreichbar zu sein. Egal ob er Zeit mit seiner Frau verbringt, mit seinen Kindern zusammen ist, beim Familienausflug, während dem gemeinsamen Abendessen, beim Sex??

Erst durch mehrmaliges Nachfragen, meinte er, dass es ihm wohl wichtiger sei erreichbar zu sein, als es tatsächlich von ihm gefordert wird.

Versteht mich bitte richtig. Das Handy ist ein wichtiges Arbeitsgerät geworden, ein Hilfsmittel, ein wichtiges „Tool“, „Gadget“ etc.

Natürlich gibt es Momente in denen wir erreichbar sein wollen oder müssen (unabhängig ob beruflich oder privat), auf einen wirklich wichtigen Anruf warten, auf eine Nachricht etc. Und selbstverständlich ist mir die Bedeutung im beruflichen Bereich durchaus bewusst. Das soll hier aber nicht das Thema sein, sondern die Erwartung und Forderung der Dauererreichbarkeit in allen Lebenslagen.

Bedeutet es wirklich, dass ich kein Interesse an einer Person habe, nur weil ich nicht sofort antworte? Mir nicht sofort Zeit nehme? Sofort alles stehen und liegen lasse? Was ist, wenn ich mich gerade in einem interessanten Gespräch befinde („Aha, das Gespräch ist also interessanter als ich?“ So wird vielleicht gegenargumentiert. In der Verhaltenstherapie nennt sich das „Willkürliche Schlussfolgerung“, aber dazu später mehr).

Was ist, wenn ich gerade Sport mache, mit dem Rad mitten im Wald bin, beim Meditieren, beim Joggen, Fußball spielen, im Kino, bei meinen Eltern, wenn ich gerade lerne, etc.? Die Liste könnte unendlich weiter gehen. Muss ich wirklich immer sofort präsent sein? Ist das Gegenüber am Telefon immer wichtiger als der Mensch mit dem wir gerade zusammen sind, wichtiger als unser Hobby, unsere Selbstpflege?

Wie fühlt es sich an, wenn ihr euch mit jemanden unterhaltet, der während des Gesprächs mehrmals auf sein Handy schaut? Volle Aufmerksamkeit? Bin ich unwichtig? Hört der mir überhaupt zu?

Lasst uns mal schauen was die Wissenschaft dazu zu sagen hat:

In einem Versuch von Shalini Misra und Kollegen (Misra et al., 2014) wurde untersucht welchen Einfluss ein Handy auf die Gesprächsqualität haben kann.

Gespräche in denen kein Mobilfunkgerät anwesend war, wurden im Vergleich als qualitativ besser bewertet als Gespräche, in denen ein mobiles Gerät gegenwärtig war. Unabhängig von Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und Stimmung der Versuchsteilnehmer.

Die Teilnehmer in handyfreien Gesprächen empfanden eine höhere empathische Teilnahme ihrer Gesprächspartner.

In einer weiteren Studie (Hyman et al., 2010) fand man heraus, dass sich Handynutzer (im Gegensatz zu „Handylosen“) bei Routineaufgaben wie dem Gehen, langsamer bewegten, ihre Richtung häufiger änderten und andere seltener erkannten. Quelle: https://tomoff.de/der-iphone-effekt-wie-beeinflussen-handys-unsere-realen-gespraeche/

Unter dem angegebenen Link findet ihr einige witzige Anregungen was ihr machen könnt, wenn jemand während eines Gesprächs mit euch zu telefonieren anfängt.

Aber weiter im Text:

Täglich schauen wir bis zu 88 Mal auf unser Handy (Quelle: Universität Bonn; Christian Montag), wobei solche Zahlen je nach Quelle underschiedlich ausfallen können.

Bereits ultrakurze Unterbrechungen von 2,8 Sekunden bringen uns aus der Konzentration. Bis wir wieder unsere volle Konzentration erreichen, kann es 3 bis 15 Minuten dauern.

(Quelle: https://www.quarks.de/technik/digitalisierung/so-beeinflusst-das-smartphone-unsere-produktivitaet/).

Des Weiteren gibt es Untersuchungen bei denen festgestellt wurde, dass Personen die ihr blinkendes Smartphone, I-Phone etc. nicht in die Hand nehmen durften, einen erhöhten Herzschlag und Blutdruck bekamen. Stress durch „nicht-rangehen-dürfen“, ist doch verrückt oder?

Laut Untersuchungen nutzen wir unser Smartphone durchschnittlich 53 Mal am Tag, um zu mailen, chatten, surfen etc., das bedeutet, wir unterbrechen alle 18 Minuten unsere Tätigkeit mit der wir uns gerade beschäftigen (vorausgesetzt wir telefonieren nicht auch noch während unserer, rein rechnerisch gesehen, 8 Stunden Schlaf).

In der Therapie lautet daher mein erster Rat bei Konzentrations- und Lernschwierigkeiten: Handy stumm schalten und außer Sichtweite deponieren! Lass dich von niemanden stören!

Die zahlreichen Unterbrechungen, verhindern das wir in einen sogenannten Flow kommen (Flow = Zustand von tiefer Konzentration und Selbstvergessenheit, völliges Aufgehen in einer Tätigkeit). Um einen Flow-Zustand zu erreichen benötigen wir mindestens 15 Minuten, erst dann sind wir richtig konzentriert.

Seit doch mal ehrlich. Ihr seit gerade beschäftigt, da kommt das berühmte WhatsApp-„Bling“- Geräusch. Ihr seit gerade konzentriert, da kommt das Facebook „Bling“, vielleicht wird noch schnell geantwortet, geliked……ach ja. Und wenn ihr dann in eure Tätigkeit zurückgeht, dann ääh, wo war ich gleich nochmal? Was habe ich zuletzt gelesen? Was wollte ich gerade tun?

„Ich mach mir erst mal einen Kaffee“….und wer jetzt sagt nein, bei mir ist das nicht so, ja der bemerkt es vielleicht gar nicht mehr, wie unkonzentriert wir oft sind.

Forscher sprechen davon, dass 95-99% vom Unbewussten übernommen werden, manche sprechen sogar von nur 0,1% Bewusstsein, also 99,9% unbewusste Handlungen. Wer kann also schon mit Gewissheit sagen, ob das Handy stört oder nicht, wenn wir es nicht einmal bemerken?

In einer weiteren Studie (mit fast 800 Studenten), fanden amerikanische Psychologen heraus, dass schon die Anwesenheit des Handys unsere kognitiven Fähigkeiten und Konzentration herabsetzt. Die Studenten mussten Aufgaben am Computer lösen, die Konzentration erforderten……Ach ja, bevor ich weiterschreibe, seit ihr noch dabei? Oder war da ne neue WhatsAppNachricht? Egal, weiter im Text, äähh, wo war ich gerade? Ach ja:

Bei den Konzentrationsaufgaben hatten einige das Handy auf dem Tisch, in der Tasche oder in einem anderen Raum. Die höchste Konzentration hatten die Teilnehmer, deren Handys in einem anderen Raum waren. Das Smartphone verleitet uns dazu, immer wieder zu prüfen, ob uns jemand geschrieben hat, ob es etwas Neues in den sozialen Medien gibt usw. (Quelle: https://studium.utb.de/wissenschaftlich-arbeiten/selbstmanagement/ablenkung-vermeiden/).

So, genug der Studien und zurück zum Thema:

Wenn ich voll konzentriert bin, möchte ich nicht an das Handy gehen.

Wenn ich beim Sport bin, möchte ich mich auf den Sport konzentrieren.

Wenn ich Yoga mache, möchte ich im Yoga-Flow sein.

Wenn ich ein Gespräch führe, möchte ich mich auf meine Gesprächspartner konzentrieren.

……etc.

Und das soll bedeuten, dass du mir nicht wichtig bist?

Wenn ich Zeit habe, klar antworte ich, aber vielleicht habe ich sie gerade nicht, die 20 Sekunden die du von mir forderst.

„Heutzutage hat jeder sein Handy immer dabei und die Zeit sofort zu antworten.“

In der Verhaltenstherapie nennt sich das eine „Absolute Forderung“.

„Ich muss – die anderen müssen.“

Wenn die Forderung nicht erfüllt wird, dann folgt ein „Niedriger Fremd- und/oder Selbstwert.

„Der andere mag mich nicht, ich bin nichts wert“ etc. Eine Schlussfolgerung ohne bestätigter Beweisführung (= Willkürliche Schlussfolgerung).

Daraus folgt ein sogenanntes „Katastrophendenken“:

„Wenn ich nichts Wert bin, können wir gleich die Freundschaft beenden“.

„Wenn ich keine Antwort bekommen, ist die Freundschaft bedeutungslos“, um nur ein Beispiel zu nennen.

Daraus folgt wiederum eine „Niedrige Frustrationstoleranz“. Die Grenze zum beleidigt sein verschwimmt immer mehr, es braucht immer weniger um enttäuscht zu sein, wir reagieren übersensibel, wütend etc.

Wie schnell legen wir eine bestehende Freundschaft auf die Waage, zweifeln an der Echtheit, nur weil unser Gegenüber gerade beim Joggen ist, oder beim Lernen, oder einfach nur seine Ruhe will („Aha, ich stör dich also, dann ruf ich eben nicht mehr an…“, wie gesagt, niedrige Frustrationstoleranz).

Achtet mal darauf wie oft ihr auf euer Handy schaut, vor allem wenn ihr gerade eine WhatsAppNachricht gesendet habt, einen Facebookeintrag, einen Instagram Reel gepostet habt.

Wie oft lasst ihr euch aus der Konzentration reißen, unterbrecht ein Gespräch, geht ans Smartphone während ihr mit euren Kindern spielt, mit euren Liebsten eine schöne Zeit verbringt. Alles selbstverständlich, oder????

Ich bedanke mich bei Euch, für eure Geduld und euer Interesse beim Lesen und wünsche euch fröhliches, erfolgreiches und herzliches Schaffen. Habt Spaß und Freude an euren Ideen, seit kreativ und genießt euer Leben.

Euer Therapeut

Markus Schuster