Hallo zusammen,

in meinem Blog „Über das Reiz-Reaktions-Schema“ haben wir uns angesehen, wie Ängste durch Reaktion auf einen Reiz entstehen können. Heute betrachten wir uns, wie diese Ängste durch Vermeidung verstärkt werden können. Nehmen wir dazu als Beispiel eine fiktive Person (wir nennen sie mal Sabine).

Eines Tages ging Sabine über eine Brücke, als es einen lauten Knall gab und die Brücke fühlbar erschüttert wurde (vielleicht hat ein Flugzeug die Schallmauer durchbrochen o.ä.). Sabine erschrak sehr darüber, fühlte wie ihr Herz pochte und nahm ein mulmiges Gefühl im Magen war.

Sie war richtig froh als sie die Brücke überquert hatte. Wir könnten sagen Sabine hat jetzt die Erfahrung gemacht, auf einen Reiz (Knall u. Erschütterung) eine körperliche Reaktion zu spüren und ein Verhalten zu zeigen (schnell die Brücke überqueren).

Die bisher neutrale Brücke wird jetzt zum auslösenden Reiz (Bedingter Stimulus) mit einer bestimmten Reaktion (Bedingte Reaktion).

Obwohl sich Sabine darüber bewusst ist, dass von der Brücke keine Gefahr ausgeht beginnt sie jetzt (bewusst, unbewusst) wann immer ihr es möglich ist, Brücken aus dem Weg zu gehen bzw. sie zu umgehen.

Im ersten Moment fühlt sich das für sie sogar gut an, weil der negative Reiz/die negative Reaktion wegbleibt.

Führen die Konsequenzen einer Verhaltensweise dazu, dass die Häufigkeit des Auftretens dieses Verhaltens zunimmt, wird von Verstärkung gesprochen.

Das bedeutet: Die Auftretenswahrscheinlichkeit (Brücke umgehen) erhöht sich, weil ein positiver Reiz hinzukommt (= positive Verstärkung) und ein negativer Reiz wegbleibt (= negative Verstärkung).

Sabine wird also in Zukunft, wann immer es geht Brücken vermeiden.

Aber was geschieht, wenn sie doch eine Brücke überqueren muss? Jetzt kann es durch ihr bisheriges Vermeidungsverhalten passieren, dass sich das unangenehme Denken und Fühlen in Bezug auf Brücken bereits so in ihrem Gedächtnis festgesetzt hat, dass sie es mit ihren körperlichen Empfindungen (Herzklopfen, Bauchgrummeln usw.) gerade noch so erträgt die Brücke zu überqueren. Die Wahrnehmung ihrer Symptome in Verbindung mit ihrem Denken (…..Brücken sind gefährlich, Herzklopfen sind unangenehm usw.) machen ihr den Umgang mit Brücken immer schwerer. Durch die Vermeidung schürt sie sogar noch ihre Angst.

Einfach erklärt heißt das:

Durch die Reaktion auf einen Reiz (klassische Konditionierung) zeigt sich jetzt ein verändertes Verhalten (operante Konditionierung) welches die Angst, das Denken, die Symptome auf Dauer verstärken. Auch wenn die Vermeidung sich im ersten Moment gut anfühlt, so sorgt sie jedoch in Zukunft dafür, dass sich die Ängste erhöhen.

Sabine und ihre Brückenphobie ist jetzt nur ein fiktives Beispiel um den Sachverhalt näher zu bringen. Grundsätzlich scheuen wir unangenehme Situationen und sorgen durch unser Vermeidungsverhalten dafür, dass sich Befürchtungen, Ängste, Abneigungen usw. regelmäßig verstärken. Nicht umsonst heißt es dann oft: „Du musst dich der Angst stellen“.

Nur so einfach ist es meistens nicht. Leider hat sich in vielen Fällen das Denken, Fühlen, Empfinden und Verhalten bereits derart festgesetzt, dass es sich für viele Betroffene als unlösbares Problem anfühlt.

Es spielt dann auch meist keine Rolle mehr, ob die Betroffenen ihre Angst als unsinnig empfinden oder rational begreifen, dass z.B. von Brücken keine Gefahr ausgeht.

Das Denken, Fühlen und Empfinden hat einen gefährlichen, pathologischen Charakter bekommen und lässt sich nicht mehr nur durch gutes Zureden oder rationales Denken beseitigen (siehe dazu auch den Blogeintrag „Über die Angst, die Entstehung und Aufrechterhaltung aus der Sicht des Gehirns“)

In solchen Fällen kann häufig nur noch eine Therapie helfen. Und dafür gibt es viele Möglichkeiten.

Systematische Desensibilisierung, Expositionstraining mit Reaktionsmanagement, EMDR, Hypnose, Training in sensu (Übungen in der Vorstellung), in vivo (Übungen in der Realität), MITT, kognitive Umstrukturierung (KUS) usw.

Alle genannten Therapieformen haben ein Ziel: Das Denken über „Brücken“ neu zu definieren. Symptome wahrnehmen, aushalten und verstehen lernen, bis sich ein neues Denken, Fühlen und Wahrnehmen zeigt welches in Zukunft weiter trainiert und verfolgt werden kann, damit sich eine Veränderung einstellt.

Auch hier gilt wieder: Veränderung geschieht durch Handlung, durch Aktivität und Verständnis über Ursache und Reaktion.

„Mut bedeutet, Angst zu haben und es trotzdem zu tun“.

In diesem Sinne wünsche ich euch fröhliches, erfolgreiches und herzliches Schaffen. Habt Spaß daran, habt Freude an euren Ideen, seit kreativ und genießt euer Leben.

Euer Therapeut

Markus Schuster