Hallo zusammen,

heute wollen wir uns mal die Zeit nehmen und überlegen, für was die Angst alles nützlich sein kann.

Wie? Angst soll für etwas nützlich sein? Wie soll das denn funktionieren?

Wer sich zuerst etwas einlesen möchte über die verschiedenen Mechanismen die in unserem Gehirn im Zusammenhang mit Ängsten ablaufen kann das hier nachlesen:

https://www.psychotherapie-schuster.de/ueber-die-angst-die-entstehung-und-aufrechterhaltung-aus-der-sicht-des-gehirns/

Sehen wir uns das Ganze einmal näher an.

Was ist eigentlich die Definition von Angst?

Angst ist eine subjektiv (persönlich) empfundene Bedrohung, ein unangenehmes Gefühl der Beklemmung, der Besorgnis, ohne akute real existierende Gefahr.

Wird die Angst von einer realen oder vermeintlichen Bedrohung durch Objekte, Personen, Situationen von außen ausgelöst sprechen wir von der sogenannten Furcht.

Befinden wir uns tatsächlich in Gefahr, durch eine bestimmte Situation, durch eine Person, durch die Umwelt (Wirbelsturm etc.), dann wird die Furcht auch als Realangst bezeichnet.

Die Folgen aus einer real erlebten Angst durch eine bestimmte Situation, einem Ereignis mit Bedrohung des eigenen oder fremden Lebens können unterschiedlich sein und werden in der Regel (je nach Beginn und Dauer der Störung) als akute Belastungsreaktion oder posttraumatische Belastungsstörung bezeichnet. Innerhalb dieser Störungen können sich ebenfalls subjektiv empfundene Ängste zeigen, jedoch haben die damit verbundenen Gedanken und körperlichen Symptome einen tatsächlichen, real erlebten Auslöser.

Und nicht zu vergessen, wäre da noch die sogenannte Phobie, eine Furchtreaktion welche ebenfalls themengebunden ist und eine starke, irrationale Angst (subjektiv) vor eindeutig definierten, ungefährlichen Situationen oder Objekten (außerhalb der Person) hervorgerufen wird. Bei einer Konfrontation mit den auslösenden Reizen können sich die Ängste und Symptome bis zu einer Panikattacke steigern.

Von einer Angststörung können wir ausgehen, wenn die Dauer und Häufigkeit der Angstzustände mit der Zeit zunehmen, wenn eine situative Unangemessenheit vorliegt, d.h. die kognitiven und physiologischen Symptome für die Situation unangemessen bzw. irrational sind,  wenn die Betroffenen nicht in der Lage sind die Angst aus eigener Kraft zu überwinden und als Folge an alltägliche Herausforderungen scheitern oder die aktuellen Lebensumstände das Ausmaß der Angst nicht erklären können.

Weiter wird noch definiert zwischen primärer und sekundärer Angst. Primär bedeutet eine echte Angststörung ohne medizinische Erklärung und sekundär bedeutet eine Angststörung, für die sich eine andere Erkrankung als Ursache herausfinden lässt (z.B. Herzkrankheiten, Bluthochdruck, Schilddrüsenüberfunktion etc.).

Die Ursachen für die Entstehung primärer Angst können sehr vielfältig sein (multifaktoriell). Genetik, Persönlichkeitsstruktur, Lerntheorie, neurobiologische Prozesse, persönliche Erfahrungen etc. können einzeln oder in einem komplexen Zusammenspiel dafür verantwortlich sein, dass wir uns immer wieder in diesem unangenehmen Zustand befinden.

Über die genetische Vererbung von Angststörungen habe ich hier einen Bericht: https://www.psychotherapie-schuster.de/ueber-die-genetische-vererbung-von-angststoerungen/

Etwas macht mir Angst, Sorgen, erzeugt Unwohlsein aufgrund meiner Bewertung, meinem Denken. Es besteht eigentlich keine Gefahr, aber es ist dennoch unangenehm und mit vielfältigen Wahrnehmungen und Folgehandlungen (häufig Vermeidungsverhalten) verbunden.

Über die Verstärkung der Angst durch Vermeidungsverhalten könnt ihr hier weiterlesen: https://www.psychotherapie-schuster.de/ueber-die-verstaerkung-der-angst-durch-vermeidungsverhalten/

Meist folgt auf die Bewertung, dass mir etwas unangenehm ist eine körperliche Reaktion.

Der Blutdruck steigt an, das Herz klopft fühlbar schneller, im Magen ist eine kribbelnde, flaue Empfindung spürbar, die Muskeln spannen sich an, die Atmung verändert sich, das Gesicht fühlt sich heiß an etc.. Diese körperlichen Reaktionen werden wieder erneut beobachtet, wahrgenommen, als negativ bewertet und als Bestätigung dafür hergenommen, dass etwas unangenehm ist, was wiederum unseren Angstzustand verstärkt. Wir sprechen dann vom sogenannten Angstkreis.

Dabei hat die Angst und ihre Symptome ein ganz klare einfache Funktion: Uns vor Gefahren zu warnen. Unsere Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsfähigkeit zu erhöhen. Uns vorzubereiten für einen Kampf oder eine Flucht (aus evolutionsbiologischer Sicht). Dafür benötigen wir aber auch erhöhte körperliche Funktionen. Deshalb erhöht sich unsere Herzfrequenz, das Herz beginnt schneller zu schlagen, das wiederum erhöht das Herzminutenvolumen, das Herz pumpt mehr Blut pro Minute in den Kreislauf, dadurch wird wiederum mehr Sauerstoff in die einzelnen Organe transportiert, wir haben wir ein verstärktes Wärmegefühl, beginnen zu schwitzen usw. Kurz gesagt:

Wir haben eine erhöhte Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit.

Leider beginnt da u.a. unser Denkfehler. Wir „denken“, dass wir Angst haben.

Wir denken, dass die Symptome etwas Negatives sind.

Zur Erinnerung, wir sprechen von der subjektiv empfundenen Angst, es besteht also keine reale Gefahr, wir werden nicht bedroht. Nein, wir denken, bewerten einfach nur falsch.

Vielleicht haben wir aber auch nur zu viel Zeit über alles mögliche nachzudenken. Nachdenken über Dinge die passieren könnten, Möglichkeiten die sich vielleicht ergeben könnten, was wenn aber……

Sicher sind wir aufgeregt wenn wir vor einer Prüfung stehen, wenn wir ein wichtiges Gespräch vor uns haben, wenn wir vor einem Publikum einen Vortrag halten, wenn wir trotz einer Brückenphobie über eine Brücke laufen (ja auch bei der spezifischen Phobie ist die subjektive Angst von Bedeutung).

Weshalb sage ich jetzt „sicher sind wir aufgeregt“? Eigentlich ist diese Aussage falsch. Nein! Wir sind nicht aufgeregt, sondern unser Körper, unsere Maschine, unser Organismus fährt seine Systeme hoch um eine besondere Leistung zu vollbringen.

Eine normale Reaktion auf eine außergewöhnliche Situation.

So müsste unsere Bewertung lauten, wenn wir die „Angst“ in uns spüren. Alles weitere ist nur Bewertung. Wo und wann diese Bewertung entstanden ist, ob sie genetisch vererbt wurde, ob wir eine unsichere Persönlichkeitsstruktur durch eine unsichere Bindung zu unseren Eltern entwickelt haben, oder wir uns einfach nur zu viel Sorgen machen, zu viel Wenn und Aber im Kopf haben, ist jetzt nicht von Bedeutung.

„Aber ich weiß doch, dass ich Angst habe“ heißt es häufig und klar habe ich aus therapeutische Sicht auch Verständnis dafür, aber woher weißt du, dass du wirklich Angst hast, dass das was du spürst wirklich Angst bedeutet, oder doch „nur“ ein falsch abgebogener Gedanke ist, eine falsche Bewertung?

Was wäre, wenn dein Körper dir sagen möchte: „Ich bin bereit, schick mich los“!

Und selbst wenn das was du spürst tatsächlich gelebte Angst bedeuten sollte, wie könntest du die jeweilige Situation auf eine andere Art und Weise bewerten?

„Toll das die Prüfung morgen ist, dafür habe ich gelernt.“

„Morgen im Geschäftsmeeting werde ich dies oder das sagen, weil ich es möchte.“

„Ich freue mich auf das Bewerbungsgespräch morgen.“

„Ich werde heute im Reptilienhaus die harmlose Schlange in die Hand nehmen.“

…..und hoffentlich klopft mein Herz, wird mir ganz warm, habe ich ein stechen im Bauch, denn dadurch weiß ich, dass mein Körper bereit ist, dass mein Gehirn voll konzentriert bei der Sache ist…..wäre doch seltsam wenn du vor einer Herausforderung stehst (und wenn es nur der Einkauf im Supermarkt ist) und du dich dabei im „Amazon-Netflix-Chill-Modus“ befinden würdest, oder?

Wie soll das funktionieren?

Selbstverständlich ist das jetzt eine sehr vereinfachte Betrachtung des Themas und ja, Angststörungen können sehr vielfältig sein und aus therapeutischer Sicht gibt es viele verschiedene Ursachen, verschiedene Gründe usw. die es zu hinterfragen gibt.

Aber weshalb nicht einfach mal das Ganze aus einer stark vereinfachten Sichtweise betrachten. Oft liegt die Lösung in der Einfachheit.

Vielleicht kennt ihr den Begriff „Ockhams Razor (Rasiermesser)“?

Von allen möglichen Erklärungen, die einfachste auswählen.

Ich denke, dass ich Angst habe, ich habe es so gelernt, mir antrainiert, dabei ist es nur eine Herausforderung und mein Körper ist einfach nur bereit dafür. Punkt.

Versucht das mal so, beim nächsten Mal, lasst euch darauf ein und schaut was sich verändert.

Im nächsten Bericht sehen wir uns dann weitere, verschiedene Möglichkeiten an, wie ihr aus verhaltenstherapeutischer, kognitiver Sicht mit Ängsten umgehen könnt. Selbstverständlich dürfen wir dabei die Emotionen, die Gefühlsebene nicht außer Acht lassen, aber auch diesem Thema werden wir uns in einem gesonderten Bericht näher widmen.

Bis dahin bedanke ich mich bei Euch, für eure Geduld und euer Interesse beim Lesen und wünsche euch fröhliches, erfolgreiches und herzliches Schaffen. Habt Spaß und Freude an euren Ideen, seit kreativ und genießt euer Leben.

Euer Therapeut

Markus Schuster